High Tech im letzten JahrhundertWilde Schusswechsel in der Stadt und keiner meldet es der Polizei? Das Szenario dürfte in Deutschland dem Bürger weitestgehend unbekannt sein. In den USA durfte die Polizei in L.A. beim Installieren und Testen von „ShotSpottern“ diese Erfahrung machen: Rund 100 Testschüsse wurden abgegeben, es ging exakt 1 Notruf ein. Nun, nicht dass es uns was Neues wäre, dass Bürger in Städten mit hoher Kriminalitätsrate abstumpfen. Aber es ist bezeichnend für das Problem. Wenn überhaupt ein Notruf eingeht, ist der Schütze über alle Berge. Mit zunehmender Urbanisierung der Weltbevölkerung werden auch die Anforderungen an die Sicherheitsbehörden steigen. Es ist zu erwarten, dass generell Technologien vermehrt zum Einsatz kommen, die Gewaltverbrechen lokalisieren und aufzeichnen, um
1. die Polizei schneller zum Einsatzort zu dirigieren und
2. forensische Untersuchungen zu erleichtern.

Kommen wir aber auf die spezifische Technologie der Shotspotter zurück: Das System dient zum Lokalisieren von Schussgeräuschen. Der allgemeine Begriff lautet „Gunfire Locator„. Die US-Firma SST bezeichnet sich in typischem Unternehmens-Speak als „World Leader in Gunshot Detection“ und bietet ein derartige Technologie mit o.g. Bezeichnung an. Es kommt typischerweise bei Polizeibehörden in den USA zum Einsatz und zwar in Gegenden mit überdurchschnittlicher Waffenaktivität. Es ist jedoch prinzipiell für alle Arten von Flächen geeignet, um einen schnellen Alarm auszulösen (sensible Objekte gibt es zu Genüge).

Was macht das System konkret?
Ein ShotSpotter ist ein akkustischer Sensor. Der Schussgeräusche von anderen Geräuschen unterscheiden kann. Was in städtischen Gebieten unabdingbar ist. Um ein Schussgeräusch zu lokalsisieren, müssen mehrere Geräte – an die 20-30 pro Quadratkilometer – installiert werden. Per Triangulation wird der genauere Ort ermittelt. Das Schussgeräusch wird aufgezeichnet und den – um im Beispiel zu bleiben – US-Polizeibehörden gemeldet. Ein zuständiger Officer kann sich am Computer mittels Shotspotter-Software auf der Karte die Lokation und die Anzahl der Schussgeräusche anzeigen lassen. Und auch das Geräusch selbst anhören, um möglicherweise die Art der Waffe zu identifizieren (die Firma SST arbeitet an einer automatischen Signaturerkennung). Warum das wichtig ist? Eine automatisches Gewehr hat weitaus mehr Feuerkraft, stellt damit eine untypisch hohe Bedrohung gegenüber den in den USA üblichen Handfeuerwaffen dar, die für sich alleine schon tödlich sind. Wir haben sicher alle die tollen Hollywood-Streifen gesehen, in denen sich die good guys hinter Mauern oder Autos verstecken. Vergesst das schnell, da eine Kugel aus einem modernen Gewehr ein Auto inkl. dem Motor, eine Mauer und die Wohnung locker hintereinander durchschlägt, bis sie endlich irgendwo steckenbleibt.

Wie sieht das in der Praxis aus?
Schauen wir uns hierzu ein Video von National Geograhics an, anno 2009, denn das System wird seit über 10 Jahren entwickelt!!!

Wer sich für einen genaueren Bericht interessiert, der möge sich eine Studie im Auftrag von SST anschauen: Gunshot Efficacy Study (.pdf). Klar, mit Vorsicht zu genießen. Es ist keine unabhängige Studie. Siehe auch den Blogbeitrag dazu: ShotSpotter Gunshot Location System.

Was macht die US-Polizei damit?
Das NYPD nutzt das Systeme ebenso wie Polizeibehörden in anderen US-Städten. Hierbei scheint sich ein dezentraler Prozess etabliert zu haben: Schussgeräusche werden lokalisiert, aufgezeichnet und direkt an die Streifenpolizisten bzw. deren mobiles System gemeldet. Die Polizei entscheidet vor Ort, ob sie hinfahren oder eben nicht. Je nach Schussgeräuschen, Uhrzeit und abhängig vom Ort selbst. Zusätzlich werden die Schussgeräusche für weitere Untersuchungen im forensischen Bereich genutzt. Aber auch für gerichtliche Beweisführungen, wenn im Zweifel unklar ist, wer wann geschossen hat (inklusive der Polizei selbst). Das NYPD betont, dass es darüber hinaus die Schussaufzeichnungen verwendet, um über statistische Daten Ressourcen zu optimieren (sprich= mehr/weniger Polizeistreifen) und weitere Techniken wie etwa Kennzeichen-Lesesysteme an kritischen Orten zu installieren.

Hört sich gut an, aber?
Das System stellt nicht alle Polizeibehörden zufrieden. So scheint es nach wie vor Probleme mit sogenannten „False Alerts“ zu geben. Das System identifiziert ungefährliche Umgebungsgeräusche als Schussgeräusche, die Polizei fährt umsonst hin und findet natürlich nichts vor, was einerseits gut andererseits ärgerlich für die Polzei ist. Und nicht zu vergessen: Das System ist nicht kostenlos.
So hat die Polizeibehörde in Trenton festgestellt, dass von 1.500 Meldungen „nur“ 500 echte Schussgeräusche waren, was das System kalkulatorisch dreimal so teuer macht (und wie oben bereits gesagt, man braucht 20-30 Geräte pro Quadratkilometer):

Obgleich PPT mit einem neuen Angebot 2011 darauf reagiert hat, nämlich die Ware gegen eine Nutzungsgebühr anzubieten statt einem Barkauf. Zusätzlich bietet man eine Cloud-Lösung an:
In the past, only large, well-funded agencies could afford to purchase gunfire alert and analysis systems on the scale required for effective deployment. With the advent of fast, secure network communications suitable for mission-critical public safety and security operations, SST is now able to offer comprehensive gunfire alert and analysis as a hosted, cloud-based service to public safety and security agencies of all sizes.

Wo werden diese Formen von Technologien noch eingesetzt?
Das Militär ist schon lange an diesen Systemen interessiert und setzt sie fleißig ein. Hierbei handelt es sich meistens um gekoppelte, sogenannte „Stand Alone Systeme“. Es ist eine Mischung aus mobilen (!) visuellen und akkustischen Systemen, teilweise kommen auch Laser- und Radartechnologien zum Einsatz. Primäres Ziel ist, schnellstmöglich auf Bedrohungen zu reagieren. So werden beim US-Militär Daten an miteinander agierende Verbundeinheiten am Boden und in der Luft gemeldet. Ob es sich nun um Scharfschützen handelt, Mündungsfeuer aus Pistolen oder gar Artillerie/Granatwerfer-Munition handelt, deren Flugweg zum Ursprungsort zurückkalkuliert wird. Der Angreifer hat damit wenig Zeit, offensiv zu agieren, andererseits gerät er unter Handlungsdruck, sich schneller als gewohnt zurückziehen zu müssen. Wer entdeckt wird, hat Pech. Allerdings haben sämtliche Systeme ihre Schwächen, keines funktioniert perfekt, auch bedingt durch das Grundprinzip des Sensors selbst (Mündungsfeuer kann optisch nur erkannt werden, wenn der Sensor eine direkte Sichtverbindung hat).

Was heißt das für uns?
Das ShotSpotter-Beispiel heißt nicht nur, dass Sicherheit gefördert werden kann. Es heißt auch, dass Sicherheit im Zuge des technischen Fortschritts dazu führt, dass Behörden zunehmend unter Entscheidungsdruck geraten, wann, wo und wofür sie Steuergelder effizient einsetzen sollen (eine ganze Stadt mit ShotSpottern zu bekleben, kostet mehrere Millionen US-Dollar). Wir reden hierbei nicht nur von knappen Steuergeldern, sondern auch über den Aspekt freiheitlicher Gedanken. So sind Diskussionen um Videoüberwachungen nur ein Indikator dafür, dass sich Gesellschaften mit den Auswirkungen neuer Sicherheitstechnologien befassen müssen. Wir werden in Zukunft – gerade in Städten mit „Hot Spots“ – ein ganzes Paket möglicher Sicherheitstechniken zum Einsatz kommen sehen. Metropolregionen sind hierbei schon längst technologisch auf dem Vormarsch. Eine ganze Reihe von Technologien kann zusammen so verwendet werden, um Situationen zu überwachen, zu analysieren und zu agieren inkl. Ressourcenplanung. Welche Sicherheitsbehörde würde nicht glänzende Augen bekommen, um sich die Aufgabe zu erleichtern?

Bilder?
Ich hätte Euch gerne – aufgeregte – Bilder von einem ShotSpotter-Gerät gezeigt, allerdings geht die Firma aus Gründen damit restriktiv um, wenn Ihr Euch deren Seite mal anschaut (auch via Google-Bildersuche sieht es nicht besser aus). Kein Wunder, denn die Installation dieser Geräte bringt es mit sich, dass der Einsatz von Waffen in überwachten Gebieten zurückgeht, wenn man sich die Berichte einzelner US-Polizeibehörden anschaut. Haben etwa Gangster ein Interesse an der Zerstörung dieser Geräte? Immerhin, hier ein Video, in dem das Gerät kurz zu sehen ist

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Buzzraum (Gespräche im Netz zu diesem Thema):
Alex Kahl Alex Kahl denkt das System exzellent weiter: Akkustische Schuss-Erkennung ist der erste Buzz, den @robgreen reitet, wo führt so eine Technologie hin?

  1. Das System könnte Stimmensignaturen erkennen, damit könnten auch Zielpersonen identifiziert und lokalisiert werden
  2. Das System könnte im Straßenverkehr genutzt werden, um im Notfall schnellere Hilfe zu gewährleisten
  3. Und, es könnte für Open Source Lösungen interessant sein, Bürgern Systeme zu bauen, die noch weitaus kreativere Nutzungsmöglichkeiten eröffnen

Blogger seit 2003. Technikaffin, neugierig, am technischen Wandel der Zeit interessiert, Anhänger und Skeptiker des Fortschrittsglaubens. Track Record meiner ex-Blogs: MEX-Blog 2003-2005 (Wirtschaftsblog), WoW-Blog 2005-2009 (Gamingblog), 321Blog 2007 (eBay), BasicThinking 2003-2009 (Tech&Startups). Aktive Blogs: RobertBasic.de seit 2009 und Buzzriders.com seit 2011.

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