Stellt Euch vor, die ungeliebte Schwiegermutter wird im Wagen tödlich verätzt und keiner löscht.

fbmobeAuf EU Ebene spielt sich im Moment ein wahrer Krimi ab, der globale Auswirkungen hat. Der Fall ist dabei so vertrackt mit so vielen Spielern, dass ich die einzelnen Aspekte der Reihe nach aufzeigen möchte.

Nr. 1: Klimwandel
Wen wundert es, bei diesen heißen Sommern. Immer mehr Autos werden mit Klimaanlagen ausgeliefert. Hierzu wird ein Kältemittel mit dem kryptischen Namen „R-134a“ eingesetzt. Das auf Basis von Flourkohlenwasserstoff hergestellt wird und als extrem klimaschädlich gilt. Die EU hat daher beschlossen, dass alle Neuwagen nach dem 01.01.2011 ohne dieses Klimamittel auskommen müssen. Und ab 2017 auch in keinen Alt-PKWs mehr enthalten sein darf. Ok, aber was soll stattdessen rein? Zaubern? Kaninchenhut?

Nr. 2: Der Weisse Klimaritter
Zwei US Chemieriesen – DuPont und Honeywell – finden gemeinsam eine Alternative, genau rechtzeitig. Ein neuartiges Klimamittel, das weniger klimaschädlich sein soll und ohne FCKW auskommt. Es nennt sich „R-1234yf„. Honeywell und DuPont halten das globale Patent drauf. Ach ja, Henne oder Ei? Henne! Sie fanden die Lösung vor der EU Verordnung. Und standen parat, als die neue Verordnung rauskam.

Nr. 3: EU und R-1234yf
Die EU schreibt vor, dass sämtliche Neuwagen nach dem 01.01.2011 ohne das alte Kältemittel auskommen müssen. Bis 2017 müssen alle PKWs was Alternatives enthalten. Zufälligerweise bietet sich das von den Chemieriesen entwickelte Kühlmittel als einzige, serienreife Alternative zur Erfüllung der EU Vorgaben an. Mega Business für DuPont und Honeywell. Volltreffer. Das Produkt und die pünktliche EU Neu-Verordnung.

Nr. 4: Der Zulasssungstrick
Die Autohersteller sind pfiffig! Sie finden eine Lösung, das neue und wesentlich teurere Kältemittel (Monopole sind prima Preistreiber) nicht einsetzen zu müssen. Wie das weiße Kaninchen aussieht? Sie lassen beim Kraftfahrzeugbundesamt alle neuen Modelle auf Basis alter PKW-Vorgängertypen zulassen, die ja bereits vor dem 01.01.2011 eine Zulassung hatten. Beispiel: Der brandneue Audi A3, der super neue Golf 7, der wunderschöne BMW 4. Alle wurden beim KBA typenmäßig als Forsetzung alter Typen zertifiziert. Cool! Damit greift die EU Regel nicht mehr! Ein großes, weißes Kaninchen mit sehr langen Ohren und super süßen Unschuldsaugen.

Was heißt das denn werbetechnisch? Verkaufen damit alle Hersteller dem Kunden „alles neu“, aber in Wahrheit sind es intern uralte Wagentypen, die man an den Mann bringt? So wird das natürlich kein Hersteller jemals darstellen wollen. Man könnt es so sehen, aber es ist mehr dem Trick geschuldet. Wir können schmunzeln, noch.

Nr. 5: Die Arschkarte wird vorbereitet
Die Story geht nun erst richtig los: Daimler hatte für die A-Klasse, B-Klasse und SL-Klasse eine Typenzulassung gewählt, die nach dem 01.01.2011 datiert. Und brav das neue Kältemittel abgefüllt. Als aber bei internen Tests bei Daimler herauskam, dass das neue Kühlzeugs bei Unfällen auf über 600 Grad heiße Motorenteile spritzt und umgehend einen wahren Feuerball auslöst, der auch noch beim Verbrennungsvorgang hochätzende Flusssäure erzeugt, haben die Ingenieure Alarm geschlagen.

Denn so wurden die Tests bis dato rund um dieses neue Klima-Retter-Kältemittel nicht gestaltet. Kalter Motor, unter 600 Grad, bisserl Crash-Puffz und alles war gut. Das Risiko galt daher als minimalst. Auch für die Daimler-Entwickler. Bis die Ingenieure deutsche Tugenden an den Tag legten und sich die Sache penibel genau anschauten. Warum sie diese Tests so gestaltet haben, wissen wir nicht. Es muss aber intern einen Riesenstress gegeben haben, da die Entwicklung von PKWs jahrelang vorher anläuft. Plötzliche Überraschungen mag nämlich niemand im Milliarden-Business leiden können. Zu groß snd die Investments und Risiken, um ja etwas aus dem Auge zu lassen. Resultat: So könne man keinen Wagen an den Mann bringen. Explosive Brandgefahr und Flusssäure sind eine lebensgefährliche Unfallsituation. So Daimler.

Schwupps, wurden 13.000 Mercedes SL global zurückgerufen und mit dem alten Kältemittel abgefüllt. Und zugleich hat Daimler beim deutschen KBA eine Rezertifizerung vor den 01.01.2011 beantragt. Für die A, B und SL-Klasse. Die brandneue CLA und S-Klasse hat man dann schlauerweise auch schon mal vor den 01.01.2011 datieren lassen. Sind ja Neuwagen auf Basis alter Typen, ne? Alles gut? Von wegen! Doch die Bombe sollte erst noch hochgehen!

Nr. 6: Arschkarte wird gezogen
Nicht nur, dass sich die Chemieriesen beschweren, was das nun soll. Die Tests seien doch nicht real! Man habe künstlich das Kühlmittel auf die super heißen Motorenteile spritzen lassen. Kein Wunder, dass es dann tierisch brennt und ätzt. Im Realbetrieb würde schon nix passieren. Das wäre viel zu selten, dass Flusssäure entstehen würde. Dass nun wohl DuPont und Honeywell maximal bei der EU trommeln, auf Einhaltung der Richtlinien pochen und intern Kilometer an Taschentüchern für die vergossenen Wuttränen ausgeben, mag keinen wundern.

Die anderen Autohersteller bekamen nun die super eiskalten Füße: Wenn es publik ist, dass etwas mit dem neuen Kältemittel passieren könnte, was wird das für gigantische Rechtsrisiken nach sich ziehen? Was, wenn wirklich etwas passiert? Was, wenn die US Schwiegermutter eine neue Lunge braucht, das Kleinkind neue Augen, die Katze tot ist? Alles nur, weil man bewusst diese Risiken gegangen ist? Ein gefundenes Fressen für jede Anwaltskanzlei in den USA, diesen Fall auch medial auszuschlachten, um die Provision zu maximieren (20% des zugesprochenen Schadenwertes vor US Gericht). Milliarden USD Risiken, was keiner mehr so richtig tragen will.

Was sagen die Hersteller dazu? Egal wen man fragt, sie weichen dermaßen aus, dass es schon auffällig ist. Wer will schon publik machen, dass man mit der Situation extrem unglücklich ist. Alte Typenzulassungen wählen zu müssen. Das neue Kältemittel ist zudem viel teurer. Alternativen gibt es nicht, um jetzt etwas anderes einzubauen. Und auch noch extrem große Risiken in Kauf nehmen zu müssen, dass die US Today oder die BILD behaupten, man würde Personenkiller ins Auto spritzen. So eine tödliche Mischung will keiner. Sagen demnach auch nicht, was Sache ist.

7. Die Franzosen zünden die Bombe
Die Arschkarte wurde von den Franzosen auf den Tisch gelegt und Daimler gezeigt. Das franz. Zulassungsamt wollte sich diese Zertifizierungsarie von Daimler nicht bieten lassen und verweigert nun die Zulassung für die A, B und SL Klasse. Entweder setzt Daimler das neue Mittel ein oder bleibt zu Hause in Stuttgart. Obgleich die EU-Richtlinien besagen, dass eine nationale Zulassung (hier das KBA in D) für alle EU Länder gültig sei. Das juckt die Franzosen nicht. Warum die Franzosen so agieren, ist völlig schleierhaft. Es ist ausgeschlossen, dass ein überarbeiteter Beamter bei der franz. Zulassungstelle Bock hatte, weitere Überstunden anzusammeln. Den Stress will kein normaler Mensch haben, ein Beamter sicher auch nicht, wenn man der These folgt, dass Beamte auch Menschen sind und sein dürfen. Wer hat das also von oben herab veranlasst? Die franz. Autoindustrie? Ein beleidigter Politiker? Kam den Franzosen etwas anderes quer und man wollte Deutschland eins auswischen? Oder einen Kuhhandel vorbereiten, der abgewickelt wird?

Wie gehts weiter?
Während alle Autohersteller schön brav den Typentrick anwenden und Daimler beim Katzenkampf zuschauen? Daimler, die EU, die franz. und deutschen Politiker mischen nun in diesem heißen Topf zusammen herum. Merkel soll schon eingschaltet sein. Was für ein Brei auch immer herauskommen wird. Der Ausgang der Story ist völlig unbekannt.

Daimler hat natürlich den Nutzen so oder so, da sie sowohl seitens Greenpeace tatsächlich gelobt werden (man muss sich das auf der Zunge zergehen lassen), aber auch beim Kunden im Kampf um Sicherheit (dem Markenkern Daimlers) mehrheitlich hervorragend dastehen. Sprich, so dumm läuft es gar nicht, von wegen Arschkarte!

Allerdings darf man nicht vergessen, dass Honeywell und DuPont sehr einflussreiche US Unternehmen sind. Wer sich mit den USA anlegt, legt sich immer mit allen an, Politik, Medien und Wirschaft. Wenn der Riese erwacht, werden die Autohersteller in Europa und Japan kuscheln? Daimler sich beugen müssen?

Ich habe selten so einen abstrusen Industriekrimi mitbekommen. Absolut irre und spannend. Klimakiller gegen Personenkiller. Frankreich gegen deutschen Weltkonzern. EU gegen Autohersteller. Und ein Gegner, der noch nicht richtig losgelegt hat, die Supermacht USA, zum Schutz von Honeywell und DuPont.

Blogger seit 2003. Technikaffin, neugierig, am technischen Wandel der Zeit interessiert, Anhänger und Skeptiker des Fortschrittsglaubens. Track Record meiner ex-Blogs: MEX-Blog 2003-2005 (Wirtschaftsblog), WoW-Blog 2005-2009 (Gamingblog), 321Blog 2007 (eBay), BasicThinking 2003-2009 (Tech&Startups). Aktive Blogs: RobertBasic.de seit 2009 und Buzzriders.com seit 2011.

Facebook Twitter LinkedIn Google+ Flickr YouTube