Wer rechnet noch Autopreise von Euro in die gute, alte D-Mark um? Da kommen natürlich irre Preise zustande. Ein heutiger Golf kostet zum Einstieg 34.000 DM, ein Baby-Benz locker 66.000 DM. Und dabei hatte doch ein VW Golf 1 gerade einmal 8.000 DEM anno 1974 gekostet und ein Baby-Benz 26.000 DM anno 1983.
Wie kann das nur passiert sein, dass PKW heute so extrem teuer geworden sind? Das kann sich doch keiner mehr leisten! Könnte man vermuten. Allerdings, schaut man sich die Inflationsraten der letzten Jahrzehnte und dazu auch noch den Anstieg der Einkommen an, kommen auf einmal ganz andere Werte heraus, die nicht mehr so krass auseinander liegen.
Machen wir also den Vergleich und ziehen hierzu die 1983 erschienene C-Klasse heran (W201 , Typenbezeichnung 190). Wie hat sich der Basispreis ohne Sonderaustattung beim günstigsten Einsteigermodell zur heutigen C-Klasse (W205, Typenbezeichnung C 180) verändert? Anbei die Chart (zum Vergrößern anklicken):
1. Sonderausstattung vs Serienausstattung
Der damalige Baby-Benz war in der Tat ein Nackedei, wo man jeden kleinsten Hauch an Mehr dazubezahlen musste. 26.000 DM klingt nach wenig. Aber nackt eben. Die Liste ist wirklich erschreckend im direkten Vergleich. Alles das, was der heutige Baby-Benz anbietet, war damals entweder nicht in Serie zu haben oder nur gegen stolze Preisaufschläge. So kostete ein Airbag für Fahrer und Beifahrer knapp 2.000 DM. Die kleinste Antennenvariante gabs ab 100 DM, sonst eben keine. Ein ABS schlug mit 2.800 DM zu Buche. Und einen Drehzahlmesser gabs nur gegen 234 DM. Wollte jemand elektrische Fensterheber für alle haben, musste er 1.425 DEM berappen. Heute? Die Sonderausstattungen von damals finden sich in Serie wieder. Ob nun ABS oder zig Airbags. Das gibts für rund 33.000 Euro inklusive. Nackt sozusagen, ohne Sonderausstattung. Die es natürlich reichlich gibt.
2. Fahrleistungen, Motorisierung, Platz und Sicherheit
Mehr als 4 Zylinder mit lumpigen 90 PS gabs in der Basisvariante nicht, der Motor wollte dann aber auch mindestens 9 Liter schlucken. Mehr als 170 KM und 4 Gängen ging nicht. Das heutige Serienfahrzeug kommt in der Basisvariante mit fast doppelt soviel Leistung daher, +55 KM an Spitzengeschwindigkeit und knapp 4 Litern weniger auf 100 KM aus. Was den Platz angeht – Länge um +20cm ebenso wie der Radstand gewachsen-, kommt das nicht nur den Insassen zu Gute, sondern auch der Sicherheit und dem Fahrkomfort. Ich möchte zudem im Falle eines Crash nicht wissen, wieviel Einzelbestandteile des alten 190ers gegenüber einem modernen C180 von der Straße gefegt werden. Von automatischen Bremssystemen und dem Mangel an Airbags ganz zu schweigen, wenn es um die Sicherheit der Insassen im Fahrzeug geht. Und die Fußgänger werden sich womöglich auch bedanken, sollte die moderne Bremsanlage den C180 auf eine geringere Aufprallmasse teilautomatisch heruntergebremst haben. Im alten 190er ging man entweder voll in die Eisen oder aber wie üblich nur halb (lernt man leider erst in Sicherheitstrainings, was Bremsen heißt: Hau brutal rein und streichle nicht das Bremspedal), so dass der Fußgänger lädierter ins Krankenhaus durfte.
3. Inflation und Einkommenssteigerung
Seit 1983 verzeichnet das Bundesamt für Statistik eine Inflation von rund 2% pro Jahr im langen Schnitt, summa summarum kommen wir auf eine Preissteigerung von rund 80% in 30 Jahren. Zugleich sind die verfügbaren Einkommen (.pdf) im gleichen Zeitraum um 122% gestiegen (von 9.430 auf 20.913 Euro jährlich). Die Nettoeinkommen der Arbeitnehmer um 75%. Was das heißt?
Rechnet man nur die Inflation zum Einstiegspreis von 26.000 DM bis 2013 drauf, käme man bei ca. 24.000 Euro an. Was nicht mehr so eklatant entfernt vom heutigen Einstiegspreis in Höhe von 33.558 Euro erscheint. Hinzukommt noch die Mehrwertsteuer-Erhöhung von 14 (1983) auf 19 (2014) Prozentpunkte. Rein netto betrachtet kommt man auf eine Preisdifferenz von 7.000 Euro, wenn man den damaligen 190er gegen den heutigen C180 preislich vergleicht. Klingt nach viel? Weiter gehts, wird sind ja noch nicht fertig. Oben haben wir schon den Faktor Produkt, inklusive dem Mehr an Leistung, Sicherheit, Komfort und Funktionsvielfalt. Der zur Wertsteigerung erheblich beiträgt. Kommen wir zur Gretchen-Frage, wer sich das dann leisten kann? Das hat sich nicht großartig verändert. Überraschung!
Früher musste man das 1,4fache des verfügbaren Jahreseinkommens für den Kauf eines Baby-Benz aufbringen, um sich die 26.000 DM inkl. 14% Mehrwertsteuer leisten zu können. Heute muss man das 1,6fache zusammenkratzen. Was ein ganz anderes Verhältnis eröffnet, wenn man nur die Preissteigerung von 26.000 DM (aka 13.300 Euro) auf 33.558 Euro betrachtet.
Das gleiche Spiel eröffnet sich bei der Betrachtung der durschnittlichen Nettoeinkommen der Arbeitnehmer, wenn ihr mit der Größe „verfügbares Einkommen“ nichts anfangen könnt. Wer früher rund 12-14 Nettoeinkommen ansparen musste, um einen Baby-Benz bar-cash zu bezahlen, der muss heute 16-19 Nettogehälter (Netto / Brutto) zur Seite legen. Was naturgemäß nur rein kalkulatorisch zu betrachten ist, denn niemand ist so doof und legt das gesamte Nettoeinkommen in einen Wagen an. Es sei denn? Man greift zu heutigen, modernen Finanzinstrumenten, die damals nicht sonderlich ausgeprägt waren. Leasing und Finanzierung heißen die Wundermittel, Nettoeinkommen schonend für den Kauf bzw Miete eines Wages konsumierend aufzubrauchen. Natürlich lassen sich die Hersteller diesen Geldflussaufschub mit Zinseszins bezahlen. Sollte Euch übrigens eine Betrachtung nach dem aktuellen Einkommensstatus interessieren, schauts einfach bei dieser Statistik vorbei: Nettoeinkommen und verfügbares Nettoeinkommen privater Haushalte nach sozialer Stellung in Euro
4. Fazit
Ja, die Autos sind teurer geworden. Nein, sie sind nicht wesentlich teurer geworden, wenn man Inflationseffekte und Einkommensveränderungen betrachtet. Ja, sie sind sicherer und funktional wesentlich erweitert worden. Nein, wir können nicht einfach alte DM-Preise auf heutige Euro-Beträge 1:1 umrechnen, da kommt nur Blödsinn bei herum, wenn man Inflation, Einkommensverläufe und Produktveränderungen außen vor lässt.
Aber der Benz ist doch ein Auto für Wohlhabende? Sicher das. Es ist ein Premium-Produkt. Aber die Einkommenssschere? Ja, sicher. Untere Einkommenssegmente, und so? Dazu reicht ein Blick auf Kleinwagen und Kompaktwagen, sagen wir einmal Modelltypen wie den Ford Fiesta, VW Polo oder gar den VW Golf? Ihr werdet womöglich nicht überrascht sein und ebenso feststellen, dass die Preis-zu-Einkommensentwicklung nicht unähnlich zur C-Klasse verlief. Auf niedrigeren Niveaus.
Insgesamt also? Langfristig gesehen stieg das Niveau der Neuwagen-Zulassungen seit den 30 Jahren kaum an. Es sank aber auch nicht. 1983 waren 2,4 Mio PKWs auf den Markt gekommen. 2013 knapp unter 3 Mio Fahrzeuge. Wir haben schon längst einen gesättigten Markt, wo der Gesamtbestand ungefähr gleichbleibend ist und alte Bestände durch neuere Bestände ersetzt werden. Natürlich gibt es Argumente, das heutige Neuwagen-Niveau mit dieser Finanzierungskiste von PKWs zu begründen. Wenn man unbedingt argumentieren möchte, dass die PKWs eben doch viel teurer geworden seien. Den Glauben will ich ja auch niemandem nehmen. Ich selbst bin kein Freund von solch starren und eindimensionalen Preismodellen, die nur die Preiszahl ins Zentrum stellen, sondern viel eher das Gesamtsystem der Wertentwicklung betrachten. Dazu gehört nun einmal das Einkommen, das Vermögen, das Produkt, die volkswirtschaftliche Entwicklung inkl. der Inflation. Preise schweben nicht im luftleeren Raum. Sie sind ein Spiegel dieser Entwicklungen.
Für mich heißt das? Moderne PKWs sind mindestens genauso viel wert wie die Mühlen von damals (die ich persönlich als Altmetallschrott betrachte), in barer Münze ausgedrückt.