Bei über 30 Grad im Schatten hockte ich erst kürzlich auf Malle zusammen mit rund 30 Tourismus-Experten und wir brüteten über 30 Thesen aus, was die Zukunft des Tourismus bestimmen könnte. Das Ganze fand im Rahmen des Impulse4Travel statt, dort findet Ihr auch das Rahmenprogramm und die Teilnehmer. Die große Überschrift lautete „Soziale Innovationen im Tourismus – ausgelöst durch die Digitalisierung der Gesellschaft“.
Ausgangslage
Was nehme ich außer den zahlreichen Gesprächen und Inputs für mich mit? Nun, zum einen hat sich scheinbar nicht besonders viel geändert. Während meiner Studienzeit – in den 90ern – war ich mehr oder minder die ganzen Jahre über bei Neckermann Reisen in allen möglichen Abteilungen als Aushilfe tätig. Insofern überraschte es mich, dass der technologische Wandel nicht zu mehr Umbrüchen geführt hatte. Dennoch unkt die Branche über einen gnadenlosen Preiskampf, der auf die Margen drückt. Und sucht sein Heil verstärkt in neuen Markenwelten, um dem Preiskampf zu entkommen.
Einer der Preisvernichter seien die vielen Preissuchmaschinen, aber auch die Hotelbewertungsseiten machen den Anbietern das Leben nicht viel leichter. Im Netz selbst sehen wir uns erstaunlichen Effekten gegenüber, wie sich Inhalte verteilen: So gut wie gar nicht. Anbieter müssen auf SEO zurückgreifen, um Kunden zu gewinnen. Obgleich Urlaub weitaus interessanter und schöner als ein iPhone ist.
Grundidee
Das bringt oder brachte mich auf den Gedanken, warum man Kunden nicht verstärkt einbindet, um sie sogar zu Mitveranstaltern und gar hochindividualisierten Reisebüros machen, im übertragenen Sinne. Wenn wir schon in eine Zukunft sehen, in der jeder mit jedem Dinge und Erlebnisse digital teilt, in der immer heterogenere Geschmäcker auf individuellere Angebote treffen, warum dann nicht den Kunden zum Prosumer machen? Produzent und Konsument zugleich? Das per se ist nichts Neues. Nur eben im Tourismus noch nicht!
Konkret
Wie das aussehen könnte? Jeder Kunde kann, wenn er möchte, seine Reise im Idealfall so einfach wie nur möglich beschreiben, bebildern, mit Routen und Sehenswürdigkeiten bestücken, passende Videos ergänzen und Alternativen aufzeigen, wie man den Urlaub in der Destination gestalten kann. Das schafft weder der Reiseanbieter noch kein Reisebüro mehr, so hochindividuell vorzugehen. Sagen wir mal, um uns das leichter vorzustellen, es würde an eine Art Facebook für Reisen erinnern. Auch das ist nicht so neu, denn es gab schon dazu einige Versuche, inlusive Yahoo, was aber schon X Jahre her ist (die ominöse Web 2.0-Zeit). Grundsätzliche Herausforderung ist? Es muss genügend Bild/Videomaterial vorliegen, das zudem so einfach wie nur möglich auffindbar wie auch einbindbar ist, damit es auch digital weniger Bewanderte schaffen. Zudem sollte im Idealfall ein realtime-Sharing möglich sein. Dir gefällt etwas ganz besonders jetzt? Dann go&clik am Smartphone, brauchst keine Bilder hochladen, nix. Der Click löst alles aus. Verpasst dem Click den Fotoeintrag, beschreibt die Location in Deinen Worten, roger. Und macht – wenn Du es willst – daraus ein buchbares Minipaket. Kein Leichtes, aber wir finden im Netz bereits einige Lösungen zu diesem Problem (Flickr zum Beispiel).
Der Clou ist nun, dass der Kunde zu jedem noch so kleinsten Erlebnis ein passendes Angebot schnüren kann. Das Hotel nur mit Frühstück, weil das Mittag- und Abendessen nicht so dolle sind? Kostet X Euro. Dazu ein Zimmer ohne TV, breiterem Bett, weicheren Handtüchern? Passt, kostet Y Euro dazu. Dann noch das Ruderboot mit Übersetzung zur romantischen Insel in der Bucht, Abendessen bei Kerzenschein? Wird auch eingepackt. Kostet Z Euro. Das gesamte Paket wird inklusive Bericht, Fotos, Videos in Netz gestellt und ist für Leser buchbar oder auch erneut individualisierbar. Vielleicht mag der Lese ja gar kein Frühstück und keinen TV im Zimmer? Ok. Haken raus.
Was macht der Anbieter?
Alles, was der Anbieter tun muss dazu? Die Daten so ins System klöppeln, so dass jedes Detail als Produkt individuell buchbar ist. Ich habe hierzu mit Andreas Kurth, Head of New Business bei der TUI gesprochen. So undenkbar ist das Szenario nicht, denn ein Teil des Datengerüsts liegt schon vor (allen voran die Flüge und das Hotel). Und der Anbieter ist der Garant für die Abwicklung der Reise, das Stemmen des Angebots, die Gewährleistung und und und. Also wie eine Art Fabrik-Selbstbedienungsladen? Wenn man es so bezeichnen möchte, dann ja.
Was bedeutet das?
Das hochindividuelle Schnüren von Reiseangeboten über die Kunden ermöglicht auf der einen Seite eine absolut feinjustierte Abdeckung aller erdenklichen Urlaubstypen (jede Nachfrage findet mindestens ein absolut passgenaues Angebot). Auf der anderen Seite müssen Reiseanbieter kein unendliches Geld mehr in die Hand nehmen, um all diese Angebote zu bewerben. Die Kunden teilen und machen es damit selbst. In Margen gedacht und im Sinne des Preiskampfs, bedeutet das eine Abkehr vom reinen Preiskampf, der zwar nach wie vor denkbar ist, aber eine hochindiviualisierte Angebotsindustrie kann nun endlich auch in Margen denken. Reisebüros können immer noch ihren Schnapper machen, indem sie zu Servicestellen mutieren, die den Kunden bei der Bestückung ihrer Diashows helfen.
Fazit
Zusammengefasst sprechen wir hier von einer Verschiebung der Paketierung von Reisen. Weniger Anbieter, mehr Kunde. Wir sprechen von einer Mikroproduktion, die heute noch nicht möglich ist (mangels Datenbestand). Und wir sprechen von einer Art Facebook für Reisen. Und von Last.fm, was die Entdeckungsmechaniken außerhalb der eigenen Freundeskreise angeht.
Wie weit ist diese Zukunft entfernt? Andreas Kurth schätzt es ähnlich so wie ich ein: Wir sprechen eher von 10 Jahren denn von 5 Jahren, bis es soweit ist. Obgleich wir beide einige bereits vorliegende Systemfaktoren erkannt haben, die heute schon vorliegen. Nach dem Motto „warum macht sich da noch keiner dran, es muss ja nicht jede Destination im Feindetail so perfekt bebuchbar sein“?
[…] dem Tourismus Zukunft-Workshop habe ich TUI befragt, wie es mit den Reisen in Zukunft aussieht, wo die Herausforderungen liegen, […]