Ob wir heute ein Auto, einen Computer, ein Smartphone, eine Software, eine Waschmaschine oder was auch immer erblicken, können wir uns dann sicher sein, dass die Verantwortlichen die Belange der Senioren beim Produktdesign berücksichtigt hatten?
Warum eigentlich nicht? Dürfen Senioren nicht ebenso wie wir Jungspunte Anspruch darauf haben, dass das Produkt in ihren Händen genauso gut funktioniert wie in unseren Händen? Das ist zwar gegeben, doch die Bedienbarkeit ist eine ganz andere. Senioren haben es nicht mehr so mit scharfen Augen, einem guten Geruchs- und Geschmackssinn. Ebenso ist ihr Tastsinn eingeschränkt. Die Beweglichkeit ist teilweise ein Fluch für sich. Je nachdem wie fit ein Senior geblieben ist, werden all die Alterungserscheinungen früher oder später dennoch eintreten.
Was wir hören? Die Gesellschaft „altert“. Diese Aussage betrifft soweit ich informiert bin alle europäischen Länder. Die Bevölkerung schrumpft, der Anteil der Senioren steigt logischerweise. Damit ändern sich die auch die Bedürfnisstrukturen bei den Konsumenten. In Japan ist es schon längst Realtität, einen großen Augenmerk beim Design der Produkte auf die Altersgerechtigkeit zu legen. Nach dem Motto „was dem Alten gut ist, muss auch dem Jungen schmecken„. Den Unternehmen, denen es gelingt, diesen Anspruch marktgerecht umzusetzen, erfreuen sich über eine breitere Käuferschicht.
Wie aber soll ein 25 Jahre junger Softwareingenieur oder ein 35 Jahre alter Waschmaschineningenieur wissen, wie es ist, ein Produkt auch für ältere Menschen mit körperlichen Einschränkungen zu designen?
Indem er sich möglicherweise in einen Altersanzug zwängt? Indem alle verantwortlichen Mitarbeiter diesen für mindestens 1 Stunde tragen und ihr eigenes Produkt schmecken müssen. Ich wette, dass die meisten förmlich ausrasten werden, was sie da für einen Mist gebaut haben. Sie werden die Tasten nicht drücken können oder richtig einstellen können. Sie werden feinmotorische Produktfunktionen erst beim x-ten Versuch umsetzen können. Wieso sind die Knöpfe so klein? Warum ist die Beschriftung so winzig? Sie werden sich nur mit größter Mühsal in oder aus einer sitzenden Position zwingen. Wo sind die verdammten Haltegriffe? Wieso ist das so verdammt eng? Wieso höre ich Audio-Feedback beim Ansprechen von Funktionen nicht? Wieso spricht und piept das Gerät so leise?
All dies und noch viel mehr wird man erfahren, wenn man sich in dieses Mistding namens „Altersanzug“ zwängt. Und um 30 bis 40 Jahre auf einen Schlag altert. Genau das habe ich beim Ford Entwicklungszentrum in Aachen erleben dürfen. Es ist ätzend, wenn man sich kaum noch bewegen kann. Das Atmen fällt schwer. Das Tasten und Hören ist ein Graus. Nach den Schuhen greifen und auch noch anziehen? Puh… das ist eine Qual pur. Irgendwelche Winz-Icons auf einem iPhone treffen? Ähem… wie soll das gehen, wenn man kaum noch was sieht. Die Haut ist eh zu trocken, damit die Screensensorik auf Gesten anspricht. Tausend Dinge, die einem so einfach erscheinen, verlassen die Banalität und werden zu einer sportlichen Herausforderung. Nicht nur, dass mein Respekt vor älteren Menschen ob dieser Einschränkungen und der Art, wie sie es dennoch im Alltag meistern, sehr gestiegen ist (einfach, weil man sich keine Gedanken macht). Auch ist mein Ärger gegenüber Produktmanagern, die Belange von Senioren ignorieren, vielleicht verständlich.
Seht selbst, wie das aussieht (und von außen mag es noch OK erscheinen, aber im Anzug werdet Ihr kotzen, das garantiere ich Euch…. der engt und schnürt Euch ein, Bewegungsfreiheit und lockeres Atmen adé. Ihr werdet schwitzen, ihr werdet innerlich fluchen und Euch wünschen, niemals alt zu werden…). Die Fotos sind von Milos Willing, Trendlupe.de-Chefe. Danke Milos!
Der Third Age Suit von Ford, der gemeinsam mit der Uni Aachen entwickelt wurde, damit Ford-Ingenieure altersgerecht über ihr eigenes Jungensüppchen schwitzen können.
Ich beim Anziehen des Folterinstruments, das aus zig Teilen besteht, um Dich einzuschnüren.
Hinsetzen? Vergiss es. Hinplumpsen!
Einfach bequem Sitzen? Ne, prusten wie ein Walross!
Aufstehen? Einfach so? Come on…, träumt weiter…
Endlich geschafft! Was Sekündchen dauert, dauert Monstersekunden!
Und jetzt in ein enges Loch setzen
Erstmal mit dem Po, nix mit den Beinen voran
Oder doch nicht? Wie bekomme ich den Rest rein?
Dann so rum vielleicht, bestimmt..ächz.. schnappatmung… schwitz…stöhn
Aussteigen geht nur, wenn man sich wie Opa und Oma mit der Hand auf dem Dach abstützt und irgendwie quälend langsam hochzieht… bequeme Einstiege sind da ein Träumchen…
Ist es dann überhaupt eine Frage, wenn man einfordert, dass es Alterstests für Produkte geben muss? Eignungstest? Zertifikat? Nennt es, wie Ihr wollt. Aber das ist eine Sache, die mir persönlich noch arg fehlt. Es gibt für alles Mögliche Siegel, Zeichen und Zertifikate. Doch ein Wesentlich fehlt. Altersgerechtigkeit. Punkt.
Organisatorische Hinweise: Jan Gleitsmann hatte bei Ford angeklopft und dieses Treffen anschließend ausgemacht. Was soll gezeigt werden, was könnte interessant sein, wie viele können kommen, wie schaut es mit Reisekostenübernahme aus (Ford hat die Reisekosten erstattet), kann man Bilder und Videos machen, darf man selbst Hand anlegen oer darf man nur zuschauen? All das wurde im Vorfeld geklärt. Danke, Jan! Blogger können davon lernen, dass sie selbst Initiative zeigen können, statt immer nur auf Firmen oder Agenturen zu warten, gefragt zu werden.
Was es sonst noch dort zu sehen gab? Erfahrt Ihr auf diesen Blogs, die mit dabei waren:
– Autokarma: Ford Forschungszentrum: Mit Herz bei der Sache (Thomas Gigold erklärt Euch, wie ein EKG-Gerät im Sitz funktioniert und wozu das gut sein soll).
– Trendlupe: Ford Haptik-Roboter Ruth (Milos Willing zeigt Euch, wie ein Roboter den Tastsinn eines Menschen simulieren kann und damit die Eigenschaften eines Produkts bewertet)
– Rad Ab: Mit Ford in die automobile Zukunft (Jens Stratmann gibt Euch einen Einblick, wie eine Autofirma wie Ford menschliche Sinnesorgane überlistet und warum).
[…] Robert Basic betreibt das Blog Buzzriders. […]