Gerhard Schröder hat zum Blog-Tanz gebeten und gefragt:

Was würdet Ihr mit einer solchen Brille tun? Fotos am “Laufenden Band”? Videos? Oder seid Ihr gar absolute Gegner einer solchen Brille? Warum? Wieso? Alle Arten von Beiträgen – Pro wie Contra – sind Erwünscht.

Vorneweg, ich bin Brillenträger und ein Mensch, der gerne mein eigenes Hirn als Speicher nutzt denn Erlebtes digital zu speichern und zu teilen. Obgleich ich Menschen verstehe, die ihr Essen fotografieren, Treffen mit Freunden dokumentieren und interessante Orte auf Facebook mitteilen möchten. Und, ich bin zweifellos ein Anhänger des technischen Fortschrittsglaubens, aber nicht um jeden Preis. Ist so „ein Preis“ die Google Brille?

Google Glass (siehe Beschreibung des Herstellers) treibt es mit der Videoschnippselei und Fotografiererei auf die technisch im Moment bequemste Spitze. Denn dies ist nun einmal im Moment der Produkthauptnutzen. Noch nie wird es bald so einfach sein, Visuelles festzuhalten und zu teilen. Und wenn wir eines wissen, wenn es um die Akzeptanz von Technik geht, dann ist Einfachheit der Bedienung ein wesentlicher Akzeptanzfaktor. Google Glass wird daher selbstverständlich ein Schlager. Egal was ich tue und wo ich bin, mit einem simplen Sprachkommando kann ich meine Umgebung digital festhalten.

Verkommt dann nicht der persönliche Genuss und die Intensität des Erlebten zu einem Gedanken, wie man das am besten Dritten mitteilen soll? Werden wir alle zu gehenden, brillentragenden Angebern alltäglicher Banalitäten? „Schau mal, wie cool ich bin„, „schau mal, wie toll die Location ist, wo ich gerade bin„, „schau mal, was ich gerade Tolles gemacht habe„. Google Glass ist geradezu eine Aufforderung, sich entsprechend mitteilsam zu verhalten. Uns droht bei entsprechender Marktdurchdringung dieser Technik – denkt auch an Wettbewerber wie Samsung, Apple, Microsoft – eine wahre, visuelle Flut an Bildern und Videos in unseren Timelines auf G+, Twitter, Facebook und YouTube. Wir werden erschlagen von nichtssagenden Straßenbildern, Autobahnfahrten, drögen Partys und Menschen mit dummen Gesichtsausdrücken.

Wenn es noch nie so einfach war, etwas Visuelles festzuhalten und sich umso weniger Gedanken machen muss, was man erlebt und wie man es am besten auf wertvolle Art und Weise teilt, statt die Timelines billigst zu fluten, wo bleibt der innehaltende Moment? Das, was uns erlaubt, den Fokus auf uns zu legen, zu reflektieren, etwas, das nicht unwichtig für unser Menschwerden ist. Es verkommt zu einem Discount artigen Strom an externalisierten Momenten denn einem Strom an innehaltenden Momenten. Selbst das Inhalieren eines wunderschönen Ortes, um zur Ruhe zu kommen, wird zu einem Moment des billigen Mitteilens.

Und es wird noch schlimmer: Die Macken eines Menschen bedingen, dass wir hin und wieder auf Menschen stoßen, die unaufhörlich mit ihrem Kopf zucken. Merkwürdig herumblicken. Willkommen in der neuen Welt von lauter herumköpfelnden Menschen, deren Augen ständig auf Wanderschaft sind. Will ich mit so einem Menschen ein ernsthaftes Gespräch führen? Dann kann ich mir gleich die unhöfliche, vollreflektierenden Zuhältersonnenbrille anziehen, um mit dem Mindestmaß an Unhöflichkeit das Zwiegespräch zu erwidern. Will ich in in einer U-Bahn sitzen, in der die Menschen da und doch nicht da sind, 100 Menschen, die allesamt mit dem Kopf wackeln? Welcome to the Zombie World!!

The Living Glass Zombie World. Und gegen diesen Virus gibt es kein Heilmittel.

Will ich das? Will ich diese Welt so haben? Es ist der Preis, den wir zahlen werden, uns in eine technisch vernetzte und voll erfassbare Welt hineinzubewegen. Es ist nicht die Frage des Wollens. Es ist die Frage, wie wir Technik in unser Leben hineinlassen und welches Gleichgewicht wir finden werden. Solange das Leben nicht zu einem banalen Timeline-Strom verkommt, wird es sich lebendig anfühlen und nicht billig. Genauso, wie wir real Erlebtes andauernd wegfiltern, werden wir auch Teile und Auswüchse dieser Technik wegzufiltern verstehen.

Also her mit den Google Glasses. So bleibe ich als Brillo wenigstens nicht mehr in der Minderheit :)

Blogger seit 2003. Technikaffin, neugierig, am technischen Wandel der Zeit interessiert, Anhänger und Skeptiker des Fortschrittsglaubens. Track Record meiner ex-Blogs: MEX-Blog 2003-2005 (Wirtschaftsblog), WoW-Blog 2005-2009 (Gamingblog), 321Blog 2007 (eBay), BasicThinking 2003-2009 (Tech&Startups). Aktive Blogs: RobertBasic.de seit 2009 und Buzzriders.com seit 2011.

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