Heute malen wir mal eine Zukunft abseits der Technikgläubigkeit und Fortschrittsglaubens. Nicht, dass wir die Schraube etwa zurückdrehen könnten. Das wäre vergeblich. Die gesamten Logistikströme – unsere Überlebensströme – der globalisierten Welt beruhen auf der elektronischen Verarbeitung. Kein Frachtschiff verlässt heute einen Containerhafen, ohne im Hintergrund sämtliche Bestell-, Kunden- und Herstellerdaten längst verarbeitet zu haben. Auch der Finanz- und Versicherungsdatenstrom an notwendigen Abwicklungsdaten ist auf zig Computern auf diesem Globus gespeichert. Winzige Beispiele für eine Technikwelt, die ohne Technik nicht mehr überleben kann.

Wir werden in eine Welt hineinwachsen, die sich in politischen Glaubensfragen ungeahnten Ausmaßes verwickeln wird. Was damals über den Stammesältesten entschieden wurde, wird heute in wesentlichen größeren staatlichen Gebilden organisiert. Ob nun demokratische Strukturen wie in den USA mit über 300 Mio Einwohnern oder zentralistische Gebilden wie China mit über einer Milliarde Menschen vorliegen, ist hierbei vollkommen unerheblich. Ohne Technik ist die Verwaltung eines Staates heute undenkbar. Und noch größere Gebilde sind heute schon längst denkbar: Die Waren- und Finanzwirtschaft hat es schon längst realisiert, wir reden von keiner Utopie. Nationale Grenzen sind nur noch Fragen des Rechtswesens, der Zölle und Konsumentenmärkte. Im Grunde unnötige Strukturen, wenn man es weiterdenkt. Doch es hat Jahrtausende gedauert, bis die empfindlichen Gleichgewichte von heute hergestellt wurden. Sind auf diesem Wege mehr Menschen an Kriegen gestorben denn an Alterskrankheit? Wie oft waren kleine, dumme Vorstellungen wie man anders leben will Anlass genug, sich gegenseitig an die Kehle zu gehen.

Also? Die Frage wird vielmehr sein, wie die global – zwar nach wie vor höchst divergente – Bevölkerung zusammen noch größere, politische Organisationsgebilde finden wird. Vom winzigen Volksstamm zu einer globalen Bevölkerung, die sich gemeinsam organisiert, weniger über Staaten denn dezentral? Ein gewagter Gedanke, der in vielen Staaten heute zu einem interessanten Zwangsbesuch in dunklen Kellern führt. Es geht aber auch friedlicher: Wir beobachten das idealerweise an der Struktur des EU-Raums. Zahlreiche Fragen werden in kaum noch überschaubaren Prozessen reguliert, standardisiert und normalisiert. Doch noch ist kein Staat bereit, seine Hoheit auch nur ansatzweise aufzugeben. Es ist nach wie vor mehr der Verteilungskampf um nationale Vorteile.

Die alles entscheidende Frage ist, ob wir durch den immens angestiegenen Austausch von Weltanschauungsfragen – profan und elementar „wie wollen wir leben“ – die alten Fragen von Religionsanschauungen weit übertreffen werden? Heute ist der Austausch ein Rinnsal, nur ein Bruchteil der Menschen ist vernetzt. Nur ein Bruchteil kommuniziert übergreifend. Nur ein Bruchteil wichtig anmutender Informationen wird reibungslos an Wenige verteilt. Wir verstehen nur ansatzweise, was außerhalb unserer vier Wände passiert. Die Kanäle sind nach wie vor archaische Kanäle digitaler Ströme. Alles das wird eines Tages lächerlich anmuten, wie wir heute von FB oder Google sprechen. Wenn alle miteinander reden könnten? Wenn Informationen weitaus effizienter Empfänger finden? Wir sind die Weltmeister im Optimieren, und optmieren werden wir auch dies. Den Strom und die Vernetzungsmuster.

Wird das ohne Kollision vonstatten gehen? Damals musste ein Mann in Deutschland ein Papier an einem Hauptportal an der Schlosskirche in Wittenberg anschlagen. Die heute lächerlich anmutenden Glaubensfragen kosteten wievielen Menschen das Leben? Weil weder die eine noch die andere Macht das neu entstandene Gefüge friedlich auflösen wollte. Ein Drittel der „deutschen“ Bevölkerung musste dran glauben.

Wie schnell wird eine Großmacht wie USA oder China den Machtknüppel loslassen, wenn die ersten Stimmen immer lauter werden, die womöglich unntöig gewordenen Staatengebilde und Hoheiten aufzugeben, einen gemeinsamen Staat aller auszurufen? Ist das so dermaßen undenkbar? Brauchen wir im 22. Jahrhundert
Staaten?

Was ist denn, wenn wir alle eines Tages, oder eher gesagt unsere Nachkommen mittels eingebetteter Körpersysteme ohne PC und Smartphones – die Steintafeln des 20. und 21. Jahrhunderts – miteinander kommunizieren können? Sprachbarrieren und beschränktes Erinnerungsvermögen aufgrund gewaltiger Cloud-Ressourcen hinter uns gelassen haben? Der Muslim ebenso wie der Katholik, Juden, Budhisten, Ungläubige, jeder Fleck der Erde ist bewohnt und vernetzt. Ein ungeahnter Austausch von Ideen, Vorstellungen und Haltungen prasselt auf den jungen Afrikaner ebenso ein wie auf den Senior im japanischen Alterheim.

Wird eine gigantische, elektronische Mauer eingezogen zwischen den Staaten, die für freien Austausch von Gedanken stehen und diejenigen, die Kontrolle nicht aufgeben wollen? Werden die einen als unfrei und die anderen als frei bezeichnet? Südstaaten gegen Nordstaaten? Kämpfen nicht schon heute Staaten auch im Westen um die Kontrolle der Informationsströme? Sitzt hinter dem chinesischen User im INet Cafe nicht ein Zensor? Das ist real und dennoch lächerlich angesichts der größeren Zukunft. Elektronische Menschen der neuesten Generation gegen die Retros?

Glaubt Ihr, dass wir eines Tages nicht gegen Menschen kämpfen werden, die ihren verletzlichen, allzu schwachen biologischen Körper nicht maschinell umrüsten wollen? Glaubt Ihr, dass Euer Gehirn auf immer ein Rätsel biochemischer Prozess bleibt? Glaubt Ihr nicht, dass man dann technisch als biologische Rasse unglaublich vorankäme, würde man diesen allzu schwachen Prozessor tunen können? Dumme Spinnerei? Vieles war mal Spinnerei. „Ein wichtiges Zwischenziel des Projekts wurde Ende 2007 abgeschlossen: Blue Column hat das Ziel der vollständigen Simulation einer neokortikalen Säule auf zellulärer Ebene erreicht. Neokortikale Säulen besitzen eine Höhe von 2 mm und einen Durchmesser von 0,5 mm. Beim Menschen enthalten sie circa 60.000 Neuronen. Blue Column bezieht sich auf Ratten, deren kortikale Säulen circa 10.000 Nervenzellen und ungefähr 108 Synapsen beinhalten“ (Quelle: Blue Brain Project, die Simulation des Gehirns). Es klingt lächerlich, dass der Mensch glaubt, sein Denken werde auf ewig verschlossen bleiben. So komplex ist es nur, weil wir lediglich technisch noch nicht soweit sind (heutige Großrechner schaffen nur Bruchteile eines Rattenhirns abzubilden, aber dabei wird es nicht stehenbleiben), biochemische Ströme simulieren zu können. Gedanken auslesen, speichern, sharen? Das Hirn als Atomwaffe der Zukunft für Kontrollfanatiker? Faszinierende Vorstellung. Wird demnach ein Forscher wie Henry Markram der Frankenstein der Zukunft sein, der mit den Grundstein gelegt hat, dass uns Menschen voreinander nichts mehr verborgen bleibt und ungeahnte Möglichkeiten eröffent? Bevor jemand auf jemanden schießt, wird das Hirn Kraft eines vernetzten Justizcomputers blockiert? Exzellent! Und bevor jemand den Gedanken an politische Änderungen in die Tat umsetzt, wird der Politrechner das Individuum umprogrammieren? Auch exzellent? Eine reine Glaubensfrage. Immerhin fördert die EU das Blue Brain Project mit 1 Milliarde Euro. Die Atomwaffe war womöglich nicht soviel weitaus teurer:)

Ethik? Moral? Glauben? Klar ist, dass man das abtun wird. All die technischen Ströme und Möglichkeiten, winzige Mosaiksteine wie das Blue Brain Project. Kinderkram, Science Fiction, Unsinn. Doch genau all die Ströme und Entwicklungen ziehen einen gewaltigen Strom an Veränderungen nach sich. Das bisserl Kupferdraht und schon überträgt man Sprache weiter als ein Zimmer misst. Eine winzige Idee, aber ein Faszinosum, was aus dieser banalsten Entdeckung, Sprache über elektrisch geladene Teilchen zu übertragen, geworden ist. Wir haben über die Menschen geschmunzelt, die uns weisgemacht haben, man könne eines Tages fliegen. Gar, dass die Erde eine Kugel sei. Und wir sind immer wieder Kraft unseres schwachen Geistes überrascht, wie uns Techniken überrollen. Es hat stets wenige Generationen gedauert – lächerliche 4 Generationen pro Jahrhundert – wenn Ihr Euch heute umschaut. 12 Generationen seit der Dampfmaschine. 4 Generationen seit Kitty Hawk. 3 seit den Computermaschinen. 2 seit dem Kunstherzen.

Eher werden viele sterben wollen, bevor man diese neue, völlig abstrus aus heutiger Sicht anmutende vollkommen vernetzter und maschinell aufgerüsteter Menschenwelten zulassen würde. Die Starken und Starren werden kämpfen. Um ihre Lebensvorstellung und Weltanschauung.

Wenn ich eines weiß, dann ist es der Unwillen der Menschen, sich auf Neues dauerhaft einzustellen. Die Widerstände waren historisch gewaltig. Und der Zyklus der Veränderungen wird noch schneller auf uns einprasseln. Wenn heute ein Christ einem Muslim und umgekehrt als merkwürdig aufgrund seiner Glaubensfragen und Sitten empfindet und gegenübersteht, wie soll es dann werden, wenn wir das Tempo des Austausch anziehen?

Um es so zu sagen: Listen. Ich weiß, ich werde als Spinner abgetan, aber das macht mir nichts: Ich werde es ja nicht miterleben:))

Blogger seit 2003. Technikaffin, neugierig, am technischen Wandel der Zeit interessiert, Anhänger und Skeptiker des Fortschrittsglaubens. Track Record meiner ex-Blogs: MEX-Blog 2003-2005 (Wirtschaftsblog), WoW-Blog 2005-2009 (Gamingblog), 321Blog 2007 (eBay), BasicThinking 2003-2009 (Tech&Startups). Aktive Blogs: RobertBasic.de seit 2009 und Buzzriders.com seit 2011.

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