Eine typische Tempozone 30 Situation …21
Kind taucht zwischen den Autos auf …22
40 Meter vor Euch, Zeit genug …23
PENG hats gemacht

Denn in der Zeit, die ihr zum Erkennen, Lesen und Verstehen der ersten Zeilen benötigt habt, sind bereits zwei bis drei Sekunden vergangen. Solltet ihr etwa noch länger benötigt haben, habt ihr euch vielleicht von den „21 22 23“ ablenken lassen? Das ist aber sehr schlecht. Im Verkehrsgeschehen auch so leicht ablenkbar? Und wer fährt schon in einer 30er Zone gerne 30?

(21) In 40 Metern taucht ein Kind auf? Alarm! Ihr habt nur eine winzige Sekunde, um jetzt zu reagieren = BREMSEN.
(22) Und dann habt ihr im besten Falle noch eine bis zwei weitere Sekunden, um das Kind nicht mit voller Geschwindigkeit zu überrollen!
(23 )Wer 70 gefahren ist = Kind sehr wahrscheinlich schwer verletzt oder tot. Keine Chance, egal wie schnell ihr bremsen könnt. Wer 50 fuhr, muss schon schneller als der Durchschnitt reagieren, um zeitig zum Stehen zu kommen, es wird so oder so sehr knapp. Wer 30 fuhr, der sollte beim besten Willen selbst bei einer Oma-Bremsung genug Puffer haben, um nicht einmal ansatzweise mit der Fahrzeugfront in die Nähe des Kindes zu kommen. Das ist schon alles, was man wissen muss. 2-3 Sekunden, 40 Meter, Ende Gelände: zum Totschläger werden oder mit vollen Hosen im Fahrzeug einmal tief durchatmen. Aber der Reihe nach, in der Welt der Worte haben wir ja genug Zeit im Gegensatz zu diesem Terrorszenario auf Leben und Tod.

Was bedeutet es, wenn man als Freak in einer 30er Zone tödlich präzise 50 oder gar 70 fährt und wie viel Zeit bleibt einem da in Metern bzw. Wagenlängen oder aber Grundstückslängen, um überhaupt eine Chance zum Stehen zu bekommen?

Zunächst einmal Bremsen ist nicht Bremsen, sondern es bedeutet im Notfall VOLLE KANNE ZU BREMSEN UND ICH MEINE VOLLE KANNE. Klingt easy, macht nur nicht jeder. Anbei dazu eine simple Bremsdruck-Chart die aufzeigt, wie hoch der Bremsdruck eines ungeübten Fahrers ist: Die untere flache, blass-hellblaue Linie soll das verdeutlichen. So bremsen zahlreiche Fahrer. Die nicht einmal genug Druck aufbauen, um das ABS auszulösen. Geschweige denn wirklich bremsen. Je flacher diese Kurve umso drastisch länger der Bremsweg. Das ist schon der ganze Grund, warum es heute immer mehr Bremsassistenten in Neuwagen gibt: Sie verstärken den Bremsdruck deutlich und bauen zum Bremsweg schneller Energie ab. Es handelt sich demnach um Bremskraftverstärker! Sie versuchen uns Dumpfbackenfahrer zu verstehen, ob wir denn eine Notbremsung hinlegen wollen oder nicht. Nur das alleine langt noch nicht. Menschen brauchen Zeit, um eine Situation zu erfassen. Kein Bremsen, kein Eingriff des Systems.

Mensch-Bremsystem oder Auffahr-Bremssystem

Continental, Test von Notbremssystemen
Ein Test eines automatischen Bremssystems, das querende Fußgänger erkennt (hier: Continental Testgelände bei Frankfurt).

Wait, wait, die modernen Notsysteme des Fahrzeugs bremsen doch heute superautomatisch, wenn da vorne ein Mensch auftaucht? Ne, das ist Quark mit Sauce! Erstens haben nicht einmal alle Fahrzeuge (46 Mio) ein good old ABS. Über Notbremssysteme wie oben beschrieben verfügen nur Bruchteile davon. Und noch weniger sind Mensch-Bremssysteme. Auch aktive Bremssysteme genannt, die autonom in die Eisen gehen und damit den Schneckenfaktor Menschfahrer ausknipsen. Diese eine Sekunde entscheidet manchmal über Crash mit Menschenfleisch oder Durchatmen.  Zahlreiche Systeme warten auf das Bremsmanöver des Fahrers. Je nach Auslegung des Systems erkennen manche Systeme Hindernisse früher oder später, zudem kommt es auf Geschwindigkeitsbereiche an, in denen sie überhaupt auf Habachtstellung sind und ob sie sofort bremsen oder auf euer Kommando warten. Erkundigt euch also genau, was euer Bremssystem überhaupt im Detail kann, vor allen Dingen dann, wenn ihr Fahrzeuge wechselt. Glaubt ja nicht, dass selbst die gleichen Modelle genau gleich funktionieren! An der Stelle: Wenn ihr könnt, kauft euch unbedingt ein Fahrzeug mit dem modernsten Bremsassistenten, der für dieses Modell verfügbar ist. Es kostet Geld und spart Euch unter Umständen Knast und ein schlechtes Gewissen. Eine bessere Versicherung werdet ihr nicht finden.

Reaktionszeit = Todeszeit

Die menschliche Reaktionszeit bleibt entscheidend, um überhaupt erst vom Bremssystem unterstützt werden zu können. Es kommt ganz auf Euch an! In Notsituationen ohne super-duper-Bremsassi heißt das zunächst: „Gute“ Fahrer brauchen unter einer Sekunde, um zu reagieren (in Simulatortests kam ich im Schnitt auf 0,64s trotz etwas höherem Reaktions-Alter, was aber auch nicht so pricklend ist). Durchschnittliche Fahrer benötigen ungefähr eine Sekunde. Ungeübte, Drogen/Alko-Junkies deutlich mehr.

Übersetzt auf 1 Sekunde Reaktionszeit bis zum Bremsmanöver in einer 30er Zone:

  1. Wer 70 in einer 30er Zone fährt = 19 Meter Reaktionsweg mit 70 km/h tödlich weiterfahrend = das entspricht rund 4 Wagenlängen!!!
  2. Wer 50 in einer 30er Zone fährt = 14 Meter mit 50 km/h weiter = das entspricht 3 Wagenlängen!!
  3. Wer 30 in einer 30er Zone fährt = 8 Meter mit 30 km/h weiter = das entspricht knapp unter 2 Wagenlängen!
  4. Ein bisschen zu schnell? Oben erwähnte ich, dass niemand gerne 30 in 30er Zonen fährt. Schön und ungut zugleich. Denn der von mir sehr geschätzte Fachmann und Unfallgutachter Markus Winninghoff zeigt auf, was das bisschen mehr an 5 km/h bedeuten kann!

Situation 1 = Die Todeszone

Sollte innerhalb von 2 geparkten Wagenlängen bzw. 9-10 Metern vor dir ein menschliches Hindernis auftauchen, rauscht man mit 70 (= 19 m/s), 50 (= 14 m/s) oder 30 (= 8 m/s) nahezu unverzögert rein. Was heißt das energetisch für den Körper?

  • 70 km/h entsprechen einem Fall aus dem 6. OG (19 m)
  • 50 km/h entsprechen einem Fall aus dem 3. OG (10 m)
  • 30 km/h entsprechen einem Fall aus dem 1 OG (3,5 m)

Die daraus zu berechnenden Todeswahrscheinlichkeiten liegen dazu bereits vor: Todeswahrscheinlichkeit bei Verkehrsunfällen mit Fußgängerbeteiligung in Abhängigkeit der Fahrzeuggeschwindigkeit (Blog: Zukunft Mobilität /Grimmepreis Träger).

Situation 2: Haarscharf und gerade noch so

Es gelten unverbrauchte Reifen mitsamt top-Druck, super Bremsen inkl. frischer Bremsflüssigkeit, keine schweren Zuladungen, keine Gefälle, ein extrem griffiger Fahrbahnbelag, keine Nässe, kein Laub, kein Schnee, nix. Alles ideal.

Wie lang ist der Bremsweg? Einmal volle Kanne und einmal mit der o.g. schwachen Bremsleistung von vielen Fahrern? Wir addieren den Reaktionsweg plus Bremsweg auf.

  • bei 70 km/h: 45 m Anhalteweg volle Kanne in die Eisen und 70 m bei einer „Oma-Bremsung“
  • bei 50 km/h: 27 m und 40 m
  • bei 30 km/h: 13 m und  18 m

Wann kommen wir also gerade noch so zum Stehen? Wie weit voraus muss ein Kind auftauchen, damit wir es packen? Die Unterschiede sind knackig!

  • bei 70 km/h: wenn die Person rund 10-15 Wagenlängen vorher erscheint bzw. mindestens 2-3 Grundstücke vorher ins Blickfeld kommt (Straßenlänge des Grundstücks sei 20 m)
  • bei 50 km/h: 6-9 Wagenlängen bzw. 2 Grundstückslängen
  • bei 30 km/h: 3-4 Wagenlängen bzw. 1 Grundstückslängen

Übersetzt heißt das was? Zwei fette Grundstücke vor Euch in 40 Metern oder fast einem halben Fußballfeld kommt ein Kind auf die Fahrbahn in Euer Sichtfeld. Wer jetzt 70 fährt, knallt drauf. Der Anhalteweg beträgt mindestens 40 Meter bei idealen Bedingungen! Egal was ihr tut, ihr werdet es nicht mehr schaffen. Ihr macht es nur noch schlimmer, wenn ihr noch später bremst, nicht richtig bremst, aufs Radio schaut, es geregnet hat. Die Todeswahrscheinlichkeiten in Abhängigkeit der Aufprallenergie haben wir oben bereits verlinkt.

Wer 50 fährt, hat es im worst case (!) gerade noch so gepackt und kommt zum Stehen, im besten Falle hat man noch zwei Wagenlängen Luft. Nochmals, auch bei 50 km/h gilt: In 40 Metern kommt das Kind zum Vorschein und es ist ganz entscheidend, dass ihr es umgehend erblickt, umgehend bremst, sonst 21 22 23. Uns Mensch kommt hierbei unser Sehfokus zugute: bei 50 km/h schauen wir ca. 40 m nach vorne. Wer übrigens 30 fährt und Oma-mäßig bremst, kommt relativ entspannt zum Stehen, obgleich das Kind sich bereits am oberen Sehfeldrand bewegt. Der Fahrer hat noch locker eine Grundstückslänge Zeit-Puffer.

Wer ein Super-Duper-Bremsassi hat (meistens nur die Premiumfahrzeuge) dann geht das System ohne Dich in die Eisen. Ziehe als Reaktionszeit einfach 0,5 – 1 Grundstückslängen ab, die man geschenkt bekommt.

Keine Idealbedingungen? Tja, macht 9 Tote und 185 Schwerverletzte pro Tag

Verändern sich Parameter wie

wirkt sich das erheblich auf die gerade eben genannten minimalen Sicherheitsentfernungen aus! Wer dann mit 70 oder 50 sagen wir bei Regen durch eine 30er Zone reinfährt, der ist in der Tat ein noch radikalerer Totschläger mit einer Waffe in der Hand. Selbst in einem super duper Oberklassewagen mit super duper Bremsautomatik ist Speeding extrem gefährlich. Der Zugewinn an Reaktionszeit ist mehr oder minder egal.

Solltet ihr den Text durchgelesen haben, sind rund großzügig 10 Minuten vergangen. In der Zwischenzeit sind 8 Menschen leicht und schwerverletzt worden. In den nächsten zwei Stunden geht übrigens auch wieder einer oder eine drauf. Die trockenen Zahlen dazu (Basis 2015)

Unfälle insgesamt: 2 516 831
Personenschäden: 396 891
davon tödlich: 3 459 (9/Tag bzw. alle 3 Stunden stirbt einer)
davon schwer verletzt: 67 706 (185/Tag bzw. 8 pro Stunde)
davon leicht verletzt: 325 726 (892/Tag bzw. 37 pro Stunde)

Quelle: Statistisches Bundesamt (Tabelle und Chart als .pdf)

Anbei ein Werbefilm von Mercedes, der aufzeigt, was die modernsten Bremssysteme heute leisten können:

Und ein eigener Demonstrationsfilm bei einer Mitfahrt (ohne Fußgänger-Demo, dafür mit dem Aufzeigen, wie smart die Dinger geworden sind):

 

Wie sicher ist dein Fahrzeug?

Die europäische Sicherheitsbehörde Euro NCAP bietet dazu eine Übersicht aller getesteten Modelle an. Achtet auf den Punkt Fußgängerschutz. Der besagt, wie gut das Fahrzeug so gestaltet ist, um die Schäden bei einem Aufprall zu reduzieren.

Beispiel BMW 5:
BMW Euro-NCAP

Persönliche Erfahrungen

Ja, die macht wohl mehr oder minder jeder im Straßenverkehr. Ich habe einen Unfall als Kind überlebt, mein Sohn auch einen, ein alter Herr wurde sofort getötet. Im persönlichen Beitrag unter „Tempo 30 – lass dich überrollen“ berichte ich darüber, wie dumm und unnötig all diese Fälle waren. Und auch warum ich denke, dass man Assis und Raser mit automatischen Meldesystem beglücken sollte. Individuelle Raserfreiheit mit Geldabo und automatischen Punktesystem bis zum Entzug des Führerscheins. Hat doch was.

Blogger seit 2003. Technikaffin, neugierig, am technischen Wandel der Zeit interessiert, Anhänger und Skeptiker des Fortschrittsglaubens. Track Record meiner ex-Blogs: MEX-Blog 2003-2005 (Wirtschaftsblog), WoW-Blog 2005-2009 (Gamingblog), 321Blog 2007 (eBay), BasicThinking 2003-2009 (Tech&Startups). Aktive Blogs: RobertBasic.de seit 2009 und Buzzriders.com seit 2011.

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